Saâdane Afif – his Is Ornamental
Der französische Künstler Saâdane Afif hat bereits an mehreren Gruppenausstellungen der Kunsthalle Wien teilgenommen, darunter Blue Times (2015), Individual Stories. Sammeln als Porträt und Methodologie (2015) und Politischer Populismus (2015–2016). Mit This Is Ornamental zeigt die Kunsthalle Wien nun Afifs erste Einzelausstellung in Österreich. Kennzeichnend für Afifs Praxis ist ihre außerordentliche Vielseitigkeit; im ständigen Wechsel der Formen, Kategorien, Inspirationsquellen und Verfahren scheint sie manchmal kaum greifbar. Seine Arbeiten sind in fortwährendem Wandel und sprengen die Vorstellung vom Kunstwerk als Endergebnis eines schöpferischen Akts. Dazu lädt er Menschen aus verschiedenen Bereichen zur Zusammenarbeit ein. Sie bringen ihre subjektiven Vorstellungen und besonderen Kenntnisse ein, die er sich wiederum zu eigen macht und in endlosen Rückkopplungsschleifen in seinen Arbeiten widerhallen lässt. In seiner Kunst ist Autorschaft nicht tot, sondern ins Unendliche erweitert. Entsprechend vielfältig ist auch die Rezeption und Interpretation seiner Werke. Jede Zusammenarbeit bringt die subjektive Deutung eines existierenden Werks zur Anschauung; jedes neu entstehende Werk ist eine Nachschöpfung, Fortsetzung, Weiterentwicklung älterer Bestandteile. In der Ausstellung in der Kunsthalle Wien Karlsplatz kommt eine neue Wendung ins Spiel. Afif verfolgt nicht nur sein Verfahren der Zusammenarbeit, Umarbeitung und Abwandlung weiter, wobei er stets mit der Autorschaft am Werk, dessen Verdinglichung zum Objekt und seiner Rezeption spielt. Er setzt sich nun auch mit dem gesamten Prozess der Musealisierung, Institutionalisierung und letztlich Historisierung auseinander.
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Anfang 2014 präsentierte Saâdane Afif anlässlich der 5. Biennale von Marrakesch die Performance Souvenir: La Leçon de Géométrie. Er lud Professor Dahmad Boutfounast ein, auf dem Djemaa el Fna, dem legendären Hauptplatz der Stadt, Geometrieunterricht zu geben. In der Abenddämmerung versammeln sich dort Akrobaten, Krämer, Geschichtenerzähler, Musiker, Schlangenbeschwörer, Wahrsager und allerlei Gauner, um ihr Können zu zeigen oder ihrem Gewerbe nachzugehen. Professor Boutfounast fand sich jeden Abend mit einem Flipchart ein, um sein Publikum die Grundlagen der euklidischen Geometrie in sieben Kapiteln zu lehren: Punkt, Linie und Ebene; Kreis; Dreieck; Quadrat; Rechteck; Vieleck und schließlich Rauminhalt. In einem Prozess der Sedimentierung und Verkettung wurde die Performance zum Ausgangspunkt einer linguistischen und formalen Untersuchung, aus der die erste neue Arbeit hervorging, die der Künstler nun in seiner Ausstellung This Is Ornamental in der Kunsthalle Wien zeigt. 2016 beauftragte Saâdane Afif den Schriftsteller Thomas Clerc mit einem Theaterstück auf Grundlage von Souvenir: La Leçon de Géométrie, in dem er ein vom Künstler erdachtes Szenario ausarbeiten sollte: „Einige Zeit später spielte sich Merkwürdiges in Marrakesch ab; einige der Gestalten, die typischerweise auf dem Djemaa el Fna anzutreffen waren, begannen, sich ‚auf Geometrie‘ zu verständigen, das heißt eine ornamentale Sprache zu sprechen. Wir beobachteten – und mehr noch, belauschten – Gespräche von höchstem Abstraktionsgrad in den Gassen der Kasbah oder auf den Café- Terrassen am Rande des Platzes. Eines dieser Gespräche wird ein Zeuge, der selbst dabei war, uns nun einige Jahre später in Wien originalgetreu wiedergeben.“ Die literarische Auftragsarbeit erscheint als Erweiterung eines vergangenen Ereignisses – der Performance – und zugleich als Versprechen auf die Zukunft im Werk des Künstlers: Sie geht aus ihm hervor und ist zugleich Quelle von Anregungen für neue Entwicklungen. Erst 2017 entdeckte der Künstler in Marrakesch im Maison de la Photographie ein Porträt aus den 1930ern, das eine junge Araberin beim Carambolagespiel zeigte1. Es handelte sich um Yasmine d’Ouezzan (1913–1997), eine Französin mit marokkanischen Wurzeln, die Siegerin der ersten Carambolagemeisterschaft für Frauen in Frankreich und Muse einiger Künstler ihrer Zeit war. Sie war Teil des für das Stück zu bearbeitenden Materials und verwandelte sich während der Arbeit daran in seine Protagonistin. Die Erzählung und die Charakterisierung der Figuren oszillieren zwischen Absurdität, Abstraktion, Klischee und Karikatur, was vielfältige Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Trotz der abstrakten Sprache und der manchmal absurden Situationen dreht sich das Stück um eine Suche nach Sinn, Yasmines persönliche Sinnsuche, die als Suche nach einem Heptaeder – einem geometrischen Körper mit sieben Flächen, der einem Haus ähnelt – dargestellt wird. Die Erreichung ihres Ziels scheint vom Austausch mit den sieben anderen Figuren abzuhängen, durch den sie sich schließlich für ein radikal Anderes öffnet. Sprache wird zum Werkzeug wie Ornament in den Beziehungen zwischen den Figuren und begleitet Yasmine auf der Reise in eine andere Daseinsform. This Is Ornamental in der Kunsthalle Wien Karlsplatz ist Afifs erstes Ausstellungsexperiment auf Grundlage von Thomas Clercs Text L’Heptaèdre und bezieht sich auf dessen zwei Hauptelemente: den Text selbst als sprachliches Material und seine Hauptfigur Yasmine d’Ouezzan. [Kunsthalle Wien Karlsplatz. Dauer von 19 September bis 18. November 2018 Foto: © Kunsthalle Wien]
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