Kommentar: Otto Hans Ressler über die Qualität der Kunst
Das Problem fängt schon damit an, dass es keine allgemein gültige Definition gibt, was Kunst überhaupt ist. Kunst kann alles sein: ein Bild, eine Skulptur, ein Autowrack, eine Ansammlung von Steinen, eine halbverkohlte Geige, eine schmutzige Badewanne, eine auf einen Zettel gekritzelte Notiz. Aber es gibt andererseits unzählige Bilder, die nicht Kunst sind. Und ein Autowrack ist meist nur das Ergebnis eines Zusammenstoßes, eine schmutzige Badewanne nichts anderes als ein Versäumnis, und eine halbverkohlte Geige der Rest dessen, was aus einem Feuer geborgen wurde. Wenn aber nicht einmal eindeutig gesagt werden kann, ob etwas Kunst ist oder nicht, wie soll es dann ein gesichertes Wissen über die Qualität dieses Gegenstandes geben? Das Autowrack im Museum unterscheidet sich möglicherweise nur durch die Signatur des Künstlers vom Autowrack am Straßenrand. Seine „Qualität“ besteht also in der Idee, das Wrack im Museum zu präsentieren. Wie sollen in diesem Fall Qualitäts-unterschiede diskutiert werden? Aber selbst der Versuch, den qualitativen Unterschied eines Schüttbildes von Hermann Nitsch und eines Fat Car von Erwin Wurm herauszuarbeiten, muss misslingen. Diese Unmöglichkeit bedeutet freilich nicht, dass die Beurteilung von Kunst auf purer Subjektivität beruhte und jeder Deutungsversuch von Anfang an zum Scheitern verur-teilt wäre. Man sollte sich aber immer bewusst sein, dass sich unsere Vorstellungen darüber, was Kunst ist und welche Bedeutung sie für uns hat, verändern. Zu Anfang des 20. Jahr-hunderts galt die Malerei Rembrandts als eher schwach – heute würde kein Mensch es wagen, auch nur so darüber zu denken. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war „Picasso“ geradezu ein Schimpfwort – heute wird er als einer der Größten der Kunst gefeiert. Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen.
Obwohl es also keine objektiven Kriterien zu geben scheint, für sich selbst kann man jedenfalls Anhaltspunkte finden, die eine Orientierung ermöglichen. Und da wir soziale Lebewesen sind, ließen sich im Meinungsaustausch mit anderen, an Kunst interessierten Menschen fraglos übereinstimmende Überzeugungen finden. Das passiert auch permanent. Im Grunde ist der Kunstmarkt nichts anderes als ein Ort des ständigen Austauschs von Argumenten und Ein-schätzungen. Für mich ist beispielsweise die ästhetische Qualität eines Kunstwerks von großer Bedeutung. Ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass die Vorstellung, dass ein Kunstwerk schön sein müsse, von vielen Kunstinsidern zurückgewiesen oder zumindest gemieden wird, so als würde es sich dabei um etwas Anstößiges, um etwas Peinliches handeln: Schönheit, meinen sie, stehe für Kitsch, nicht für Kunst. Aber für mich ist die ästhetische Qualität eines Kunstwerks wichtig. Schönheit – und damit meine ich nicht das oberflächlich Schöne (das sehr wohl fragwürdig sein kann), nicht das Schöne der Farben und Formen allein, sondern das Schöne, das in die Tiefe geht und aus der Tiefe kommt, das Schöne, bei dem man spürt, dass es uns betrifft, unser Leben, unsere Hoffnungen und Ängste, unsere Leidenschaften und unsere Urteilskraft, diese Schönheit ist nach meiner Überzeugung eine Grundbedingung der Kunst. Fehlt sie einem Werk, handelt es sich in meinen Augen gar nicht um Kunst. Ich finde es nicht zuletzt deshalb so schade, dass die ästhetische Qualität aus dem Diskurs über Kunst ausgeklammert wird, weil sich darüber wunderbar streiten ließe. Denn was schön ist, darüber gab es schon immer sehr unterschiedliche Auffassungen.
Ebenfalls sehr wichtig ist mir, dass ein Kunstwerk authentisch ist. Darunter verstehe ich nicht nur, dass es echt sein muss, also von dem Künstler geschaffen, dem es zugeordnet wird: Ich verstehe darunter die unverwechselbare Handschrift des Künstlers. Auf Authentizität fußt letzten Endes das Vertrauen aller Beteiligten am Kunstmarkt und ist damit die Voraussetzung für sein Funktionieren. Der Künstler muss etwas Neues, Unverwechselbares, Einmaliges schaffen. Er muss an sich glauben (anders steht er die zumeist in Jahrzehnten zu messende Durststrecke, bis er Anerkennung findet, gar nicht durch). Der Galerist wieder muss an den Künstler glauben (und diese Überzeugung vermitteln können, sonst überlebt auch er nicht). Denn der Sammler kauft letztlich im Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit des Künstlers, des Galeristen, der Kuratoren, der Kritiker und nicht zuletzt im Vertrauen auf all die anderen Sammler, die ebenfalls Werke dieses Künstlers erwerben. Dieses Vertrauen kann sich nur entwickeln, wenn das, was der Künstler macht, in Einklang steht mit dem, wie er denkt und fühlt. Und es muss auch im Einklang stehen mit dem Geist der Zeit, in der es entsteht. Wer heute impressionistisch malt und dem Impressionismus nichts Neues hinzufügt, produziert keine Kunst, sondern ist im Grunde nur ein Kopist. Im Grunde sind, was er malt, Fälschungen. Eine weitere, für mich wesentliche Voraussetzung ist für mich handwerkliche Perfektion. Sorgfältige, fachgerechte Ausführung, die Verwendung der besten Materialien, Dauer-haftigkeit, all das scheint für viele Künstler kein Thema mehr zu sein. Aber Kunst ist Handwerk, ihr Inhalt ist, wie es Josef Mikl einmal ausgedrückt hat, bloß der Auftrag für den jeweiligen Ausführenden. Ob daraus Kunst werde, hänge von dessen Charakter und Begabung ab. Mir ist durchaus bewusst, dass ich mich auch hier auf glattes Parkett begebe: Denn auch das Handwerkliche steht heutzutage nicht sehr hoch im Kurs. Aber für mich ist die Beherrschung des Handwerks eine Grundvoraussetzung. Ich will Malerei sehen, keine Schmiererei. Ich will eine gediegene Ausführung, keinen Wegwerfmüll. Kunst, das ist für mich vollendete Indivi-dualität, aber auch Handwerkerfleiß, Konzen-tration und Qualitätsgefühl. Übrigens: Auch über das Handwerkliche ließe sich herrlich streiten. Und auch hier ließen sich nachvoll-ziehbare Qualitätskriterien herausarbeiten – zumindest im Rahmen vergleichbarer Kategorien. Ein Kunstwerk muss in meinen Augen innovativ sein. Das heißt: Der Künstler muss einen originären Stil finden, eine eigene Formensprache entwickeln.
Erst Form und Gestaltung machen eine Thematik zum Kunstwerk. Das Thema und der Inhalt, von vielen Kunstinsidern zum wichtigsten Kriterium ernannt, sind in meinen Augen sekundär. Denn die Vermittlung des bloßen Inhalts ist noch kein Kunst-Ereignis, sondern kann genauso gut eine Sache der Wissenschaft sein, eine Reportage, pure Information oder eine Dokumentation. Bei der Kunst kommt es nicht so sehr auf das Was an, sondern auf das Wie. Und nicht zuletzt: Ein Kunstwerk, für das ich mich begeistere, ist immer widersprüchlich. Ohne zwiespältige Emotionen gibt es keine nachhaltige Wirkung. Kitsch, und daran kann man ihn relativ leicht erkennen, ist hingegen immer eindeutig. Es gibt keine Herausforderung, Kitsch zu hinterfragen. Kitsch bestätigt gemütvoll das bis zum Überdruss Bekannte. Es braucht also eine ganze Menge, um in meinen Augen als Kunstwerk zu gelten, mit dem ich mich auseinande-rsetzen will. Und wenn Sie für sich einen Kriterienkatalog aufstellen, werden Sie schnell entdecken, dass auch Ihre Anforderungsliste recht umfangreich ist. Und Sie werden feststellen, dass das, was Sie suchen, wenn Sie in eine Ausstellung gehen, nicht sehr oft erfüllt wird. Mir passiert es jedenfalls immer wieder, dass ich enttäuscht werde, wenn ich eine Galerie besuche. Ich vermisse etwas, und ich vermisse es schmerzlich. Wie alle anderen Menschen auch bin ich von meinen ganz persönlichen Erfahrungen, Vorbildungen und Vorlieben geprägt. Wenn ich in ein Museum gehe, in eine Galerie, suche ich ein sinnliches Erlebnis – und bin frustriert, wenn ich mit etwas Sprödem, Indifferentem konfrontiert werde, das mich ratlos zurücklässt. Ich suche noch immer die alten Ideale und meine ganz private, persönliche Vorstellung von Schönheit – und ich finde sie viel zu selten. Mag sein, dass ich schon zu alt bin, um mich dem Neuen noch stellen zu können. Aber allzu oft stehe ich vor Werken, die ich für belanglos und unausgegoren halte. Allzu oft ärgere ich mich über die wenig überzeugende Inszenierung einer Ausstellung, allzu oft über Kuratoren, deren akrobatische Interpretationen etwas versprechen, das die präsentierten Werke nicht halten. Allzu oft ziehe ich ein ernüchterndes Resümee nach der Begegnung mit Kunst. Allzu oft vermisse ich, so richtig gepackt, ergriffen, berührt zu werden – etwas, das mir unverzichtbar scheint. Allzu oft vermisse ich das Erlebnis, etwas wirklich Neues, Überraschendes, Mitreißendes zu entdecken. Allzu oft vermisse ich, mit einem Wort, die Kraft der Kunst.
Und darauf kommt es mir an: Ich will, dass mir ein Kunstwerk unter die Haut geht, dass es mich dazu bringt, über etwas intensiver nachzudenken. Ich schaue mir Kunstwerke, die mich begeistern, immer mehrmals an und beobachte die sich verändernde Wirkung, die sie auf mich haben. Ja, ich will, dass ein Kunstwerk schön und sinnlich ist. Ich will, dass es authentisch ist, also echt in jedem Wortsinn. Aber um die Handschrift eines bestimmten Künstlers von der jedes anderen unterscheiden zu können, muss ich einiges von diesem Künstler gesehen haben. Ich halte deshalb überhaupt nichts davon, wenn jemand ein Werk betrachtet und nach zwei Minuten ein Urteil fällt. Ich bin überzeugt, dass eine schnelle Bewertung seriöser Weise gar nicht möglich ist, wenn man dem Künstler halbwegs gerecht werden will. Und ja, ich schätze das Handwerkliche eines Kunstwerks. Ich will die Ernsthaftigkeit nachvollziehen können, mit der der Künstler vorgegangen ist. Ich will noch immer glauben, dass die Kunst über uns hinausweist, dass sie für die Ewigkeit gemacht ist. Ich will die Chance haben, mich lange genug mit dem Kunstwerk beschäftigen zu können, um irgendwann zu verstehen, worum es dem Künstler ging. Ich will keine Wegwerf-Kunst, die nach der Ausstellung schnurstracks auf den Müll geworfen wird. Und ich will, dass der Künstler etwas macht, das neu ist, das innovativ ist, das mich herausfordert. Es ist zwar immer schön, in eine Ausstellung zu gehen, in der die Werke der Impressionisten, der Fauves, der ersten Abstrakten oder der Neuen Wilden aus den 1980er Jahren präsentiert werden. Es ist, als würde man alten Freunden begegnen. Aber von einem Künstler, der heute lebt, erwarte ich mir etwas ganz anderes: Von ihm will ich überrascht werden. Ich will verblüfft werden. Ich will irritiert werden. Ich will spüren, dass da etwas im Entstehen ist, das es bis dahin noch nicht gegeben hat. Und ich will durchaus auch aus meinem privaten Dornröschenschlaf herausgerissen werden durch Kunst. [Otto Hans Ressler ist Auktionator und Geschäftsführer der „Ressler Kunst Auktionen GmbH“]
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