Jim Dine – „I never look away Selbstporträts“
Mein Spiegelreflex: Wenn ich an einem Spiegel oder einer reflektierenden Oberfläche vorbeigehe, werfe ich, aus welchem Winkel auch immer, einen gründlichen Blick auf mein Gesicht. Diese Gewohnheit stammt aus der Kindheit. Ich bin es, der mich selbst beobachtet, um in der Sekunde, in der ich mich selbst im Spiegelbild wahrnehme, das sogenannte Selbst-porträt zu revidieren, zu formen. Ich kann dann ohne Kreide oder Stift im Kopf korrigieren, eine versehentliche Linie ausrad-ieren und spüre auch das psychologische Moment, wenn mein Gesicht so aussieht, als hätte ich es noch nie zuvor gesehen. Ich sehe nie weg. Jim Dine, Paris 2016 |
Die Albertina zeigt ab 24. Juni 60 faszinierende Selbstporträts von Jim Dine – eine repräsentative Auswahl der großzügigen Schenkung des achtzigjährigen Künstlers, die Dine facettenreich präsentiert. Die Werkgruppe der Selbstbildnisse erlaubt einen eigenständigen, intensiven und überraschenden Dialog mit Künstler und Werk. Dine experimentiert mit vielseitigen Techniken und Materialien und thematisiert dabei Jugend und Alter, Intimität und Extraversion sowie Serialität und Kreativität auf dem Papier. Seine Selbstporträts ermöglichen neue Einblicke in ein Schaffen, das man schon zu kennen glaubte. Jim Dine zählt neben Andy Warhol und Roy Lichtenstein – missverständlicherweise – zu den gefeierten Stars der amerikanischen Pop Art. 1958 in New York angekommen, wurde er rasch Teil der dortigen, innovativen und dynamischen Kunstwelt. Seine damalige – oberflächlich betrachtet – gegenstandsbezogene Kunst führte dazu, dass der Künstler mit Andy Warhol, Wayne Thiebaud und Roy Lichtenstein zu den Mitbegründern der amerikanischen Popart der 1960er-Jahre gezählt wurde, wodurch die subjektive Dimension seiner Kunst zunächst verstellt war. Die damals entstandenen, gegenständlichen Motive wie Bademäntel, Herzen, Werkzeuge oder Stiefel sind vor allem als Platzhalter seiner selbst zu interpretieren, als „Vokabular seiner Gefühle“, wie Dine es selbst erklärt. Die Beschäftigung mit der eigenen Person zieht sich wie ein roter Faden durch sein umfassendes und vielseitiges Oeuvre.
Schon als Kind übt der Spiegel auf den Künstler, der 1935 in Cincinnati, Ohio, geboren wurde, eine eigene Faszination aus. Diese wird zur Grundlage für eine intensive Beschäftigung mit dem Selbstbildnis als einem immer wiederkehrenden Motiv. Ab den 1970er-Jahren taucht dieses wieder in seinen Arbeiten auf und bleibt bis heute als Motiv der künstlerischen Selbstreflexion ganz wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit. Dine beschäftigt schon immer das Subjektive, das Innerste. Fast zu jeder Zeit ist ein Selbstporträt in Arbeit. Das Selbstbildnis erlaubt dem Künstler, mit sich selbst als Modell, frei und unabhängig von anderen, sich vollkommen seinem Hauptanliegen zu widmen, nämlich ein gutes Kunstwerk zu schaffen und gleichzeitig seinem Verständnis von seinem Ich Raum zu geben. Die Selbstporträts Dines beschreiben immer wieder aufs Neue den invarianten Kern des Menschen: seinen Charakter, seine Standfestigkeit und Entschlossenheit, seinen intransigenten Ernst, und dies in monomanischer Ausschließlichkeit. Jedes einzelne Werk legt Zeugnis ab für die Unmittelbarkeit, mit der der Amerikaner seine Gesichtszüge studiert. Daher rührt auch die Glaubwürdigkeit und Echtheit der Empfindung dieser Selbstbildnisse. Jedes einzelne ist wieder und wieder das unmittelbare Ergebnis einer scheinbar einmaligen Begegnung im Spiegel. Der Künstler erarbeitet sich sein Gesicht jedes Mal neu – diese unermüdliche Konsequenz macht die Kraft seiner Selbstporträts aus. Erst kürzlich entstand die jüngste Arbeit mit dem Titel Ich in Apetlon, eine Lithografie, in der burgenländischen Druckwerkstatt Chavanne. Einmal mehr ist das Selbstporträt Ausdruck der Leidenschaft und Begeisterung Jim Dines für druckgrafische Techniken, in denen und mit denen er zahlreiche zentrale Arbeiten geschaffen hat – nicht zuletzt auch durch einen sehr innovativen Umgang mit traditionellen Techniken. Dabei betont der Künstler auch stets die große Bedeutung der Zusammenarbeit mit den jeweiligen DruckerInnen, nicht nur, weil sie ein Gegenpol zur einsamen Arbeit im Atelier darstellt, sondern weil in dieser Kooperation auch kreativer Austausch und produktive Umsetzung stattfinden. Jim Dine bezeichnet sich als „zeichnenden Maler“ und ist zu Recht davon überzeugt, dass er in keine Kunstrichtungen oder Ismen einzugliedern ist. Der freie und unkonventionelle Umgang mit den Möglichkeiten von Malerei, Zeichnung und Druckgrafik und die fortwährende Konzentration auf die eigene Person als Inhalt und Motiv sind Ausdruck der zutiefst individuellen Dimension seiner Kunst. Die monumentalen Selbstbildnisse spielen eine fundamentale Rolle, illustrieren sie doch die unbeirrbare Introspektion sowie die ruhige, konzentrierte Kreativität des Künstlers. [Albertina, Ausstellungsdauer: 24. Juni bis 2. Oktober 2016 – Foto: © Albertina]
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