IM BLICK DER CANALETTOBLICK
Der Canalettoblick ist die wohl berühmteste Ansicht der Stadt, über Jahrhunderte hat er die Menschen fasziniert und zahlreiche Künstlerinnen und Künstler inspiriert. Wien, vom Belvedere aus gesehen, so heißt das namengebende Gemälde Bernardo Bellottos, genannt Canaletto, im Original. Am Ort der Entstehung betrachtet die Ausstellung die Geschichte des Bildes und zieht Vergleiche mit anderen Darstellungen und zeitgenössischen Visualisierungen. Die Vedute Wien, vom Belvedere aus gesehen wurde um 1759/60 von Maria Theresia in Auftrag gegeben. Die politischen und militärischen Erfolge nach der Türkenbelagerung von 1683 hatten einen Bauboom ausgelöst. Der Künstler setzte in seinem Gemälde die zahlreichen hochbarocken Prunkbauten, von denen viele von Maria Theresia oder ihren Vorfahren errichtet worden waren, eindrucksvoll in Szene. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde Wien von vielen weiteren Künstlerinnen und Künstlern aus derselben Perspektive verewigt. Die früheste Reaktion auf Canalettos Gemälde ist jene von Carl Schütz, nachdem im Jahr 1777 der Belvederegarten für die Bevölkerung geöffnet wurde. Sie entstand im Rahmen der Serie von fünfzig Wiener Ansichten, die mit kaiserlichem Privileg im Artaria-Verlag herausgegeben wurden. Wenig später folgte eine weitere Ansicht von Franz Karl Zoller. Beide Bilder waren weithin bekannt und wurden oft kopiert. Um 1900 war der Blick vom Oberen Belvedere das bestimmende Motiv der Hauptstadt in den damals immer zahlreicher erscheinenden Bildbänden über Wien. Koloman Moser, Tina Blau oder Carl Moll – sie alle schufen ihre Version des Canalettoblicks. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Motiv politisch aufgeladen. Der Fotograf Otto Croy zeigte 1945 den zerstörten Park mit abgemagertem Weidevieh. In einer Serie von Skizzen und Gemälden beschäftigte sich der im September 1947 aus dem Exil zurückgekehrte Gerhart Frankl mit dem verwüsteten Belvederegarten und dem Blick auf die Stadt. Schließlich gewann die Ansicht durch die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags am 15. Mai 1955 im Oberen Belvedere staatstragende Bedeutung.
Ebendiese wird durch eine spätere Darstellung wieder konterkariert: 1967 zeigt Kiki Kogelnik ihre ironische Figur der Reihe Hangings im Park des Belvedere und entfacht so das subversive Potenzial des Canalettoblicks. Im Rahmen der Ausstellung werden diesen Veduten Architekturbilder der Gegenwart – wie Renderings und Visualisierungen von Bauprojekten – gegenübergestellt, um zu zeigen, dass sie mit Gemälden wie jenem Canalettos einiges gemeinsam haben. Gezeigt wird unter anderem der Entwurf Wiener Wolkenbügel des Architekturbüros Coop Himmelb(l)au, der zum Architekturwettbewerb des Heumarkt-Projekts eingereicht wurde und aufgrund der zu erwartenden Ablehnung als bewusst provokantes baukünstlerisches Statement gewertet werden kann. Im Zuge von städtebaulichen Entscheidungen wird der Canalettoblick als Maßstab herangezogen, so auch in der Diskussion rund um das Heumarktprojekt. „Die Ausstellung gibt kein Urteil über neue Bauprojekte, sondern sie zeigt in einer kunsthistorischen Darstellung die Veränderungen und Kontinuitäten, die der Canalettoblick im Laufe der Geschichte erfahren hat“, so Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere. Kurator Markus Fellinger ergänzt: „Anhand der historischen Herleitung wird deutlich, dass Stadtansichten – heute wie damals – zur Inszenierung des urbanen Raums eingesetzt werden. Dies gilt für historische Veduten ebenso wie für digitale Renderings.“ Das zentrale Bild selbst ist in der Ausstellung nur indirekt zu sehen: Aufgrund seines fragilen Zustands muss Canalettos Gemälde im Kunsthistorischen Museum verbleiben. Im Belvedere ist es in einer medialen Inszenierung dennoch zu sehen: Per Liveübertragung durch eine Webcam aus der Gemäldegalerie wird es in der Ausstellung präsentiert und mit einem weiteren Livebild, der heutigen Aussicht vom Standpunkt Canalettos, in Beziehung gesetzt. Während im Gemälde selbst die Zeit eingefroren und der Zustand konserviert ist, zeigt das Livebild der heutigen Aussicht beständige Bewegung, aber auch Konstanten. Nicht das erste Mal arbeitet das Belvedere hier mit dem jungen Start-up-Unternehmen ARTIVIVE zusammen, das im Rahmen dieser Ausstellung gemeinsam mit dem Kurator eine neue Ebene visueller Aufarbeitung gestaltet: Mittels Augmented Reality wird das Thema der Visualisierung und der Instrumentalisierung von Stadtbildern digital über eine App erlebbar. In der Ausstellung werden Werke von Wolfgang Wilhelm Prämer, Salomon Kleiner, Carl Schütz, Rudolf von Alt, Wilhelm Burger, Tina Blau, Carl Moll, Gerhart Frankl, Otto Rudolf Schatz, Edgar Jené, Kiki Kogelnik und anderen gezeigt. [Oberes Belvedere, Dauer bis 14. Oktober 2018, Kurator: Markus Fellinger Foto: © Belvedere]
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