Future Light – Pauline Boudry / Renate Lorenz. LOVING, REPEATING
Als Teil der von Maria Lind für die Vienna Biennale 2015 kuratierten nAusstellung Future Light präsentieren die Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz in der Kunsthalle Wien eine raumgreifende Videoinstallation: Auf drei großformatigen Screens zeigen sie ihre in den vergangenen Jahren entstandenen Filme Opaque (2014), To Valerie Solanas and Marilyn Monroe in Recognition of their Desperation (2013) und Toxic (2012). Gerahmt von Kulissenelementen, von Vorhängen, skulpturalen Requisiten und historischen Dokumenten entsteht ein filmischer Parcours der neuen Formen von Subjektivität und Begehren eine Bühne bietet. Pauline Boudry und Renate Lorenz leben in Berlin und Wien und arbeiten seit 1998 zusammen. Ihre aktuellen Videoinstallationen könnten als „performative Archäologie“ beschrieben werden, die verdrängten Geschichtssträngen der Bildung von Identität nachspürt. Diese zeigt sich als Schnittmenge „aufwändiger Durchquerungen“ (Renate Lorenz) von Zuschreibungskategorien wie Geschlecht, Klasse, Körpernormen und Fremdheit Inszeniert werden Individuen und Gruppen, die sich außerhalb und an den Rändern der Norm bewegen und ebenso fragile wie kämpferische Störungen von Gesetzen und Ökonomien vorführen. Als Grundlage ihrer Filme konzipieren die Künstlerinnen Performances und beziehen sich dabei auf zahlreiche Referenzen aus dem Bereich des Experimentalfilms, der Geschichte der Fotografie und der Underground (Drag-) Performance. Die Darsteller/innen der Performances sind selbst Choreograf/innen, Künstler/innen und Musiker/innen Rund um die auftretenden „Figuren“ stellen Glitter, Rauch, Vorhänge, Tarnmuster, imposante Perücken, Masken, Schleier und Sound eine nur stellenweise durchbrochene Zone der Undurchsichtigkeit/Opazität her, die die Charaktere einer fixen Kategorisierung entzieht. Kontext des Projekts Future Light greift die Videoinstallation in der Kunsthalle Wien das Vorhaben einer Kritik und Befragung der gegenwärtigen Gültigkeit zentraler Konzepte der Aufklärung – Subjektivität, Licht („Enlightenment“) und Öffentlichkeit – auf. Die Leitfigur des Lichts wird nicht klassisch als alles durchdringende Transparenz und absolute Sichtbarkeit im Dienste totaler Kontrolle aufgefasst. Die in den Videos gezeigten queer- und identitätspolitischen Strategien fordern ein „Recht auf Opazität“ (Edouard Glissant), auf Verschleierung, Unsichtbarkeit und gebrochene Erscheinungsformen. Die aktuellste Arbeit in der Ausstellung ist der Film Opaque aus dem Jahr 2014. Er wurde in einem aufgelassenen Schwimmbad gedreht. Der Boden des Beckens ist mit Sand bedeckt, darauf sind eine Reihe glänzender Vorhänge platziert. Die beiden Darsteller, die in Leder, Strass und pinker Tarnmontur gekleidet sind, bewegen sich im Raum und werden dabei von rosa und blauem Nebel umhüllt. Aus dem Off ist eine Stimme zu hören. Diese erzählt von im Untergrund lebenden Menschen, von Flüchtlingen, die es nach einem nicht näher benannten Krieg an diesen Ort verschlagen hat. Voller Begehren suchen sie nach einem Feind, der „aussieht wie ich, sich kleidet wie ich und an meiner Stelle lebt“. Wird den Körpern das „Recht auf Verhüllung“ durch die sie umhüllenden Vorhänge und Nebelschwaden gewährleistet? Oder trüben diese die Grenzen zwischen Komplizen und Feind? Die Situation ruft keine bedrohliche Atmosphäre hervor, sondern scheint vielmehr futuristisch und feierlich friedlich zu sein.
Der Film To Valerie Solanas and Marilyn Monroe in Recognition of their Desperation ist ein soziales und musikalisches Experiment, in dem sechs Darsteller/innen, von Solanas SCUM Manifesto inspiriert, der Filmmusik der Komponistin Pauline Oliveros aus dem Jahr 1970 nachgehen. Jede/r Darsteller/in wird gebeten, fünf Tonhöhen auszuwählen, um dann lang modulierte und nicht modulierte Töne zu spielen. Anschließend beginnen die Darsteller/innen, einander zu imitieren. Rotes, gelbes und blaues sowie Stroboskoplicht geben den Einsatz. Sobald ein/e Künstler/in dominiert, versuchen die anderen, seine bzw. ihre Dominanz zu dämpfen. Zusammen ergeben die Gegensätze von Individuum und Kollektiv, Geben und Nehmen, Unvorhersehbarkeit und Plan „einen kontinuierlichen Kreislauf von Macht“ (Oliveros). Die Kamera wird selbst zum Darsteller. Sie folgt dem Vorgang in einer einzigen kontinuierlichen Aufnahme, und offenbart fetischistische Interessen. Die Künstlerinnen hinterfragen auf diese Weise, ob Ton und Licht Beziehungen hervorbringen können, die „queer“ sind und stellen ein mögliches zukünftiges Weltbild vor. Eine Punkfigur im Glanzkostüm und eine Drag Queen stellen zwei Charaktere in Toxic dar. Sie agieren in einem Raum, der einem Atelier ähnelt und mit violetten Vorhängen ausgestattet ist. Auf dem Boden befinden sich haufenweise Glitter und giftige Zimmerpflanzen. Weitere Personen werden in die Szenerie projiziert. Sie tragen Masken verschiedener Protestbewegungen und nehmen Posen ein, die man von Fahndungsfotos und anthropologischen Aufnahmen kennt. Viele toxische Substanzen werden erwähnt, darunter Heroin, Ecstasy, Pilze, Radioaktivität, Androgel und Testosteron. Sie führen dem/der Betrachter/in vor Augen, dass Toxine vergiften, aber auch heilen und die Lebensqualität steigern können. Diese Mehrdeutigkeit von Begriffen und Situationen, von der Bedeutung von Licht und Transparenz wird von der Aussage der Dragqueen unterstrichen, die den Schriftsteller Jean Genet mit der Feststellung zitiert, vor einer laufenden Kamera befragt zu werden, ähnle der Brutalität eines Polizeiverhörs. Aktuelle Retrospektiven und Einzelausstellungen von Renate Lorenz und Pauline Boudry: Patriarchal Poetry, Badischer Kunstverein, 2013; Aftershow, CAPC, Bordeaux, 2013; Toxic Play in Two Acts, South London Gallery, 2012; Contagieux! Rapports contre la normalité, Centre d´Art Contemporain, Geneve, 2010. [Kunsthalle Wien MQ, Ausstellungsdauer: 11. Juni 2015 bis 4. Oktober 2015] Foto: © Kunsthalle Wien
DAS KUNSTMAGAZIN
KUNSTINVESTOR Nr. 5
Ausgabe Mai 2015
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