Die Wiener Maria – Eine Verhandlung der Grundbedürfnisse

Am sogenannten Wiener Arbeiterstrich an der Triester Straße, der Herbststraße und der Brünner Straße lässt der Architekt und Künstler Milan Mijalkovic vom 23. bis 30. August täglich einen Kaltwasser-brunnen in Busenform vorfahren – „Die Wiener Maria“.

„Kann alles Arbeit“ ist ein Satz, der in der illegalen Subkultur der Wiener Baubranche typischerweise die Verhandlungen eröffnet und dabei ein Dilemma ausdrückt. Wer seine Chancen auf Arbeit und damit Lohn nicht verwirken will, muss sich verkaufen können – und zwar unter Wert. Acht Euro ist der Stundenlohn, den sich die Männer aus Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn, der Ukraine und dem Kosovo, viele von ihnen Meister ihres Fachs, erhoffen, wenn sie an der Triester Straße täglich zu Dutzenden darauf warten, abgeholt und zu einer Baustelle im Umland gefahren zu werden. Sie haben kein Recht auf Entlohnung, sind weder sozial- noch kranken- oder unfallversichert. Fernab von Verhandlungen um Lohnnebenkosten, Kollektivverträge und den Zwölf-Stunden-Tag schafft sich der Sozialstaat hier, am Matzleinsdorfer Platz, in stoischer Gelassenheit jeden Tag aufs Neue ab. Und stellt dabei die Vorhut eines riesigen Schwarzarbeitsmarkts aus, der von Teilen der Gesellschaft genutzt und von anderen ignoriert wird. Ein Thema, das den Architekten und Künstler Milan Mijalkovic, geboren 1982 im mazedonischen Skopje, schon lange beschäftigt. Seit 2001 lebt er in Wien, wo er zu Beginn neben dem Studium selbst solchen Jobs nachging, die ihn vor körperliche Herausforderungen stellten. 2016 entstand die „Arbeitsstrich-Sammlung“, eine Reihe von Alben, die heimlich aufgenommene Fotos einzelner Schwarzarbeiter von ihren Einsatzorten versammelten. Im gleichen Jahr nahm Mijalkovic an einer Gruppenausstellung im frei_raum Q21 zum 50-jährigen Jubiläum des Gastarbeiter-Abkommens zwischen Österreich und der Republik Jugoslawien teil. Auf mannshohen Sockeln positionierte er vor den Eingängen zwei Schwarzarbeiter, die das Eintreffen des damaligen Außen- und Integrationsministers abwarteten und von denen einer Sebastian Kurz schließlich die Hand schüttelte. Grundüberlegung für seine neue Aktion, „Die Wiener Maria“, ist, so sagt es Mijalkovic selbst, die Frage: „Welche anerkennende Geste bringt jeder von uns denjenigen, die für ihn arbeiten, entgegen?“. Das Glas Wasser als existentieller Minimalkonsens wird hier zum mobilen Brunnen. Gefördert mit Mitteln des Bundeskanzleramts, ließ Mijalkovic dafür nach seinen Entwürfen eine weibliche Brust mit einem Durchmesser von zwei Metern und einer porzellanartigen Oberfläche gestalten. Diese soll, montiert an einem Kleinlaster, in der Woche vom 23. bis 30. August täglich an der Triester Straße, der Herbststraße und der Brünner Straße vorfahren und über die Brustwarze kaltes Wasser freigeben. „Die weibliche, entblößte Brust steht für Verletzlichkeit und gegenseitige Abhängigkeit zugleich“, sagt Mijalkovic. Schließlich reagiere auch nach einer Schwangerschaft die Milchdrüse der Mutter auf kindliches Geschrei und damit auf ein elementares Bedürfnis nach Versorgung. „Schwarzarbeiter, Schwarzarbeiter, kriegst ein Wasser“, hat Mijalkovic in einzelnen Buchstaben an einer Seite des LKWs anbringen lassen. Das Versprechen umrahmen Auszüge aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. „Jeder hat das Recht auf Arbeit und freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen“, lautet der erste Satz. Dass an den angefahrenen Plätzen täglich vielmehr „alles Arbeit“ geboten und verlangt wird, das macht ein Riesenbusen kaum noch ignorierbar. [Dauer 23. bis 30. August 2018, Orte Triester Straße, 1100 Wien; Herbststraße, 1160 Wien; Brünner Straße, 1210 Wien]

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