Die Roedelius-Zellen – Eine Klanginstallation
Klangkünstler haben gesagt „des einen Mannes Lärm ist eines anderen Mannes Musik.“ Die Roedelius-Zellen imaginieren die Möglichkeit, dass auch eines Mannes Musik im wahrsten Sinne des Wortes „die Musik eines anderen Mannes“ werden könne. Während der Aufnahme-Sessions für etliche ihrer Kollaborationen in den letzten zehn Jahren haben Tim Story und Hans-Joachim Roedelius oft „das Band laufen lassen“, wodurch viele Stunden Roedelius‘ intuitiver Solo-Piano-Improvisationen erfasst wurden. Als er Jahre später diese ungezwungenen Aufnahmen wiederentdeckte, begann Story sie mehr als „found sounds“ denn als fertige Kompositionen zu behandeln. Durch das Zerschneiden in sehr kleine Zellen und Wiederzusammenfügen des Materials in geschichtete, sich entwickelnde Muster, begann Story, Kompositionen ausschließlich aus den Quellklavieraufnahmen zu erschaffen, die sich jedoch stark von Roedelius‘ Originalen unterschieden. Diese übereinander gelagerten Schichten bestehen jeweils oft aus nur wenigen Sekunden sich wiederholender Klänge – der sechste Satz allein enthält weit über 450 dieser separaten Audio-„Ereignisse“ in einer Spielzeit von weniger als 7 Minuten. Das Ergebnis ist ein synkopiertes, schimmerndes Zusammenspiel, welches mehr an den strukturierten Minimalismus eines Steve Reich erinnert als an die expansive Lyrik von Roedelius. Gesprächsfetzen, zufällige und Fremdgeräusche finden ihren Weg in die Zellen und wiederholen sich, erschaffen so eine Art menschlicher Perkussion für einige der Stücke. Indem er sich auf die Klänge des Klaviers beschränkt – eines der am einfachsten erkennbaren und zugänglichsten Instrumente – hofft Story, den Hörer auf den Prozess selbst zu fokussieren, was eine musikalische und dennoch unbestreitbar verwirrende Perspektive bezüglich der Erwartungshaltung gegenüber „Klaviermusik“ verleiht. Um diesen Prozess zu verdeutlichen und den Akt der „Re-Komposition“ auf die Hörer zu auszudehnen, hat Story ein Playback-System integriert, welches die individuellen Zell-Schichten diskret auf 8 Lautsprecher verteilt. Bei ihrer Reise durch den physischen Raum entwickeln sich die Nebeneinanderstellungen der Wechselwirkungen der Zellen in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise und laden im Wesentlichen den Zuhörer ein, Storys Neuinterpretationen neu zu interpretieren.
Künstler-Statement: „Ich war schon immer davon fasziniert, wie wir Menschen ständig Ordnung aus Zufälligkeiten herstellten, ob es sich darum handelt, Bilder in den willkürlichen Risse auf einem Gehweg zu sehen oder „ Kompositionen“ in den zufällig überlappenden Klängen des täglichen Lebens zu hören. Die Erschaffung von Musikstücken aus Feldaufnahmen und „found sounds“ist nichts Neues, Komponisten der Musique concrète und Audio-Collage haben dies seit der Einführung der Audio-Aufnahme getan. Was aber, wenn diese „found sounds“ nicht Aufnahmen von zufälligen Ereignissen in der Natur oder in der Industrie wären, sondern Krimskrams, der von den improvisierten Aufnahmen eines anderen stammt? Diese „aus Musik gemachte Musik“ hat wenig Ähnlichkeit mit den ursprünglichen Klavierstücken, die Joachim gespielt hat – aber während seine Ausführungen rücksichtslos zerhackt, unterbrochen und neu geordnet wurde, bin ich überrascht, wie viel von der ursprünglichen Lyrik und Zartheit seines Spiels überleben. Das Wort „Zellen“ ist bewusst gewählt – es steht in Bezug sowohl zu den Audio-Bausteinen, die in jeder Komposition aufeinander geschichtet sind, als auch zu der organisch-biologischen Bedeutung des Wortes -. Dem sehr persönlichen Ausdruck, der scheinbar mühelos aus der musikalischen DNS meines Freundes Joachim zu fließen scheint. “ (Tim Story, 2016)
Die Künstler: Der Grammy-nominierte US-amerikanische Komponist Tim Story wurde „ein Meister der elektronischen Kammermusik“ (CD Review, USA) genannt, und ein „wahrer Künstler des elektronischen Mediums“ (Victory Review, USA). Im Laufe von über drei Jahrzehnten einflussreicher Aufnahmen und Live-Performances hat sich um Storys einzigartige Mischung aus akribischer Komposition und wegweisender Sound-Designs eine beträchtliche weltweite Fangemeinde gebildet. Der in Österreich lebende Komponist Hans-Joachim Roedelius hat mehrere Generationen von Musikern tiefgreifend beeinflusst während seiner inzwischen mehr als einem halben Jahrhundert andauernden Karriere und durch seine über 100 Solo- und kollaborativen Aufnahmen. Von seinem wegweisenden Duo Cluster mit Dieter Moebius, zu seinen genreübergreifenden Solowerken ist Roedelius als einer der wichtigsten Klangpioniere Europas anerkannt. Gleichermaßen vertraut mit der abstraktesten Elektronik und den zartesten Klaviersoli hat Roedelius eine unauslöschliche Wirkung auf elektronische, experimentelle und Ambient-Musik, und darüber hinaus auf völlig undefinierbare Musikgenres gehabt. Die langjährigen Freunde und Kollegen Roedelius und Story haben bei vielen musikalischen Projekten zusammengearbeitet, darunter die gefeierten Alben Lunz (2003) und Inlandish (2007).
[Kunstverein Baden. Samstag, 4. Juni 2016, 17.00 Uhr, 17.00 – 22.30 : Klang Installation „Roedelius Cells“ von Tim Story Music (USA), 23.00 : Textperformance Michou Friesz (A) spricht Texte von Joachim Roedelius (A) begleitet von Joachim Roedelius am Klavier]
Foto: © Kunstverein Baden
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