Eine Künstlerfreundschaft
Lyonel Feininger und Alfred Kubin
Was als Austausch von Zeichnungen begann, wurde rasch zu einer Korrespondenz, in der sich zwei introvertierte Künstlerpersönlich-keiten einander gegenseitig öffneten, sich über Ihre Kunst austauschten und allgemeine Gedanken vertieften. Darüber hinaus enthält dieser Briefwechsel tiefe Einblicke in die Vorbereitung und den Verlauf des legendären, von Herward Walden in seiner Galerie Der Sturm veranstalteten Ersten Deutschen Herbstsalon. Es war Kubin, der Franz Marc vom Blauen Reiter als einen der Organisatoren dieser Ausstellung auf das Werk von Feininger aufmerksam machte. Die Teilnahme Feiningers an der Schau markierte den Beginn seiner Karriere als Bildender Künstler. Feininger und Kubin kannten die Kunst des anderen aus der Zeit, als sie gleichzeitig für die Zeitschriften Der liebe Augustin und Licht und Schatten Zeichnungen lieferten, die dort publiziert wurden. Kubin dürfte darüber hinaus auch die langjährige Tätigkeit Feiningers als Karikaturist für diverse Zeitschriften nicht unbekannt gewesen sein. Feininger hatte zu Beginn des Briefwechsels Kubins Roman Die andere Seite bereits gelesen und in einer Gouache, die Anfang 1911 in Licht und Schatten reproduziert wurde, als motivische Anregung aufgenommen. Dieser Darstellung gab er den Titel Die Stadt am Ende der Welt, während Kubin seine in Grau getauchte Stadt Perle nannte.
Die Albertina widmet der faszinierenden wie überraschenden Freundschaft zwischen Lyonel Feininger und Alfred Kubin eine außergewöhnliche Ausstellung, die mit rund 100 Gemälden und Grafiken die kurze aber intensive Verbindung zwischen den vermeintlich grund-verschiedenen Künstlern nachzeichnet. Die Schau zeigt zudem erstmals die Werke, die Feininger und Kubin miteinander tauschten, und präsentiert im begleitenden Katalog den Briefwechsel, in dem sich die beiden als „Seelenverwandte“ trafen. „Von den heutigen Zeichnern schätze ich Sie ganz besonders“ schrieb Alfred Kubin am 25. November 1912 aus dem kleinen oberösterreichischen Ort Wernstein am Inn an Lyonel Feininger. Damit begann er einen Briefwechsel, der sich in den folgenden Jahren zu einem intensiven Austausch beider Künstler entwickeln sollte. Es begann mit dem Vorschlag des Österreichers, Zeichnungen zu tauschen. Der ursprünglich aus Amerika stammende Feininger antwortete zwei Tage später aus Zehlendorf bei Berlin: „Es ehrt mich ungemein, dass Ihnen daran liegt, eine Zeichnung von mir zu besitzen; ich meinerseits bin schon seit Jahren ein warmer Verehrer Ihrer Arbeit und Schuldner für manchen Genuss“. Beginnend mit frühen Zeichnungen Kubins und den kommerziellen Karikaturen Feiningers zeichnet die Ausstellung die weitere künstlerische Entwicklung beider nach. Werke zu denselben Themenbereichen wie Stadt, Eisenbahn, Krieg oder Musik und Karneval werden in einen Dialog gesetzt und führen zugleich die Unterschiede zwischen Feininger und Kubin vor Augen. Bedingt durch die Wirren des Ersten Weltkriegs brach der Kontakt zwischen den beiden Künstlern 1914 weitgehend ab und wurde danach bis 1919 nur noch sporadisch fortgesetzt. Feininger wie Kubin hatten sich in ganz unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Während für Kubin die Illustration von literarischen Werken ins Zentrum seines Schaffens rückte, hatte Feininger die Malerei für sich entdeckt, in der sich seine weitere künstlerische Entwicklung vollzog. [Albertina, 4. September 2015 bis 10. Januar 2016 – Foto © Albertina]
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