Kunstmuseum Ravensburg widmet sich „Naturprozessen“
Neue Ausstellung präsentiert ab dem 11. Juli Werke vom Expressionismus bis in die Gegenwart
Ravensburg- Das Ausstellungsprojekt „Ich bin eine Pflanze. Naturprozesse in der Kunst“ nimmt die Besucher im Kunstmuseum Ravensburg mit auf eine spannende Zeitreise: Kuratorin und Museumsleiterin Nicole Fritz stellt von 11. Juli bis 8. November die individuellen „Naturprozesse“ ausgewählter Künstler vom Expressionismus bis in die Gegenwart vor. Zu den Künstlern zählen Paul Gauguin, Salvador Dalí und Herman de Vries. Im Vordergrund der Beziehung zwischen Mensch und Natur stehen heute nicht mehr Ausbeutung, Macht und Zähmung, sondern die Einsicht, dass die über Jahrhunderte prägende Nützlichkeitsperspektive in Richtung eines partner-schaftlichen Verhältnisses zur Tier- und Pflanzenwelt weiterentwickelt werden muss. Künstler sind und waren Vorreiter für ein solches empathisches Naturverhältnis. Parallel zum Prozess der Modernisierung haben Künstler als Reaktion auf eine durch Verstädterung und Industrialisierung zunehmend entzauberte Umwelt die Natur verstärkt in den Blick genommen. Das von Museumsleiterin Nicole Fritz kuratierte Ausstellungsprojekt „Ich bin eine Pflanze. Naturprozesse in der Kunst“ belegt diese These, indem es die individuellen „Naturprozesse“ der ausgewählten Künstler vom Expressionismus bis in die Gegenwart chronologisch vorstellt. Gezeigt wird, wie die Natur um 1900 nicht nur im Film (Das Blumenwunder, 1921-25) oder in der Fotografie in den Fokus rückt. Auch Expressionisten wie Emil Nolde beginnen im Freien zu malen und sich empathisch in Naturprozesse einzufühlen. Die Blume oder auch der Baum wird von Künstlern wie Paul Gauguin, Emil Nolde oder Paula Modersohn-Becker zur idealen Projektionsfläche für den Ausdruck der unmittelbaren Selbstwahrnehmung und findet sich als Iden-tifikationsfigur auch in anderen Sparten wie beispielsweise im Tanz wieder (Loïe Fuller, Tanz der Lilie, 1896). Diesen emotional-expressiven Annäherungen an die Natur im Expressionismus steht ein introspektiver Annäherungsprozess an die Natur im Surrealismus gegenüber. Innerseelische Prozesse werden in Naturmetaphern visualisiert und synthetische Entsprechungen anthropomorpher und vegetabiler Bereiche erscheinen bei Max Ernst oder Salvador Dalí in traumähnlichen Szenerien visualisiert. Als Folge der Zerstörungen, die der Zweite Weltkrieg für viele Menschen mit sich brachte, gewann auch die Natur mit den ihr inhärenten Regenerationskräften als Quelle der Hoffnung für viele Künstler in der Nachkriegszeit erneut eine große Bedeutung. Bei Richard Oelze und Joseph Beuys entstehen innere Landschaften, die den psychisch Entwurzelten eine neue, wenn auch nur imaginäre Heimat boten. In den 1960er und 1970er Jahren erschlossen sich die Künstler dann mit der Ausweitung des Kunstbegriffes in Richtung Prozess, Performance und Land Art neue Bereiche. Sie bilden die Natur nicht mehr nur ab, sondern bringen sich im wahrsten Sinne des Wortes auch körperlich wieder in Kontakt mit der Natur (Herman de Vries). Energetische Prozesse und Bewusstseinserfahrungen mit der realen Natur werden zur individuellen (Richard Long) oder zur kollektiven Identitätsfindung genutzt, wie bei den Künstlerinnen der 1970er Jahre (Ana Mendieta, Birgit Jürgenssen). In der Gegenwart werden die Stilformen und Techniken der Avantgarden in hybrider Art und Weise fortgeführt. Wie ihre Vorgänger lassen sich auch heute Künstler wie beispielsweise Bernd Koberling oder Matthias Mansen von der direkten Naturwahrnehmung inspirieren, während andererseits Max Weiler oder Christiane Löhr ihre Abstraktionen in der Tradition der Surrealisten aus ihrem Inneren im Atelier nachspüren. Vor allem die körperbezogenen, alle Sinne einbeziehenden Ansätze der 1970er Jahre erhalten heute, angesichts einer zunehmenden Verflachung der Alltagswahrnehmung in die digitale Zweidimension-alität, eine neue Aktualität. Ob aus der postmodernen, ironischen Distanz heraus (Nezaket Ekici, Stephan Balkenhol) oder als empathische Einfühlung mit allen Sinnen (Anne Carnein) verankern junge Künstler in ihrem Bestreben, Körper und Natur wieder in Verbindung zu bringen, Naturprozesse zunächst in ihrer eigenen Körperlichkeit – ganz ähnlich den Tendenzen in der Kunst der 1970er Jahre. Nicht zuletzt zeigt die Ausstellung, dass in der Kunst auch alte überlieferte Mikro- und Makrokosmos-Vorstellungen wieder produktiv gemacht werden, um einen bewussteren Umgang mit der Natur zu finden. Eine Besonderheit neben den vielen hochkarätigen Werken stellt eine mittelalterliche Handschrift aus der Nationalbibliothek Wien dar, die ursprünglich aus Ulm stammt. Über 500 Jahre nach der Entstehung im schwäbischen Raum kehrt der Codex 5327 nun anlässlich der Ausstellung im Kunstmuseums Ravensburg für kurze Zeit in die Region seiner Herkunft zurück. [Ausstellungsdauer: 11. Juli 2015 bis 8. November 2015 – Foto:©Kunstmuseum Ravensburg]
DAS KUNSTMAGAZIN
KUNSTINVESTOR Nr. 7
Ausgabe Juli 2015
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