Beton

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Häuserblöcke, schwebende Straßen und das Design des Raumfahrtzeitalters: Bei der Stadtplanung der Nachkriegszeit ging es um mehr als nur ums Bauen. Es ging um die Umsetzung einer „Beton-Utopie“, die auf dem fortschrittlichsten Material jener Zeit basierte. Bis heute gilt Beton als progressiv. Die gleichnamige Ausstellung betont diese Modernität des Materials bis in die Gegenwart hinein. Zugleich richtet sie aber ihren Blick auch auf die sozialen und ideologischen Implikationen vergangener Betonarchitektur.

In den 1960er Jahren entwickelte sich ein Baustil, der in direkter Beziehung zum Material stand – der sogenannte Brutalismus, nach dem französischen Wort für rohen Beton: béton brut. Brutalistische Architektur steht für Kompromisslosigkeit und Radikalität. Die Flexibilität des Materials mit dem Potential für ausdrucksstarke Formgebung ermöglichte es, das Experiment in den Vordergrund zu rücken und die Möglichkeiten des Materials bis an seine Grenzen auszuloten. Beton zeichnet sich aber auch durch eine bedeutende soziale Komponente aus: Große soziale Bauvorhaben der Spätmoderne wie Gemeindebauten, Erziehungseinrichtungen und Kulturzentren wurden in Beton umgesetzt.Ende der 80er Jahre in Verruf geraten, erlebt das Material heute eine Renaissance: zeitgenössische Künstler/innen sind fasziniert von der Dualität aus expressiver Ästhetik und dem „Human Modernism“, für die Beton-Architektur steht. Obgleich manche Gebäude heute nur noch im ruinösen Zustand erhalten sind und als Zeugnisse einer gescheiterten Ideologie erscheinen, ist ihnen trotzdem das modernistische Bekenntnis zu einer innovativen Gestaltung realer Lebensverhältnisse anzusehen. Im Sinne eines Blicks zurück nach vorn sucht die Ausstellung deshalb auch die Potenziale des Betons für unsere Gegenwart zu reaktivieren.

 

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Sofie Thorsens Spielplastiken beispielsweise beschäftigen sich mit einem umfangreichen Kunst-am-Bau-Programm der Wiener Nachkriegszeit, bei dem Künstler/innen Betonskulpturen entwarfen, die auch als Spielgerät für Kinder dienten. Die vor allem in den Wiener Gemeindebauten entstandenen Spielplastiken verbinden abstrakte Skulptur und praktische Benutzbarkeit. Fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden, finden sie in Thorsens skulpturaler Aneignung neue Sichtbarkeit. Auch Isa Genzkens Skulpturen verweisen auf die Bedeutung des Bauens in Beton zu einer Zeit, als dieser das bevorzugte Material für Kulturzentren, Schulen, Universitäten oder öffentliche Bibliotheken war und stellen seine Vielschichtigkeit und Faszination zur Schau. Die Rückkehr der Kunst in die soziale Dimension wurde bereits 1987 von der documenta 8 propagiert. Olaf Metzel zeigte damals eine Arbeit, die er nun für die Kunsthalle Wien adaptiert hat: Ein gerastertes Betonrelief wie aus überdimensionalen Eierkartons als ironische Übertragung des Designs von Kaufhausfassaden in den Ausstellungsraum. Tom Burrs Brutalist Bulletin Boards von 2001 machen sich die Ästhetik der Architektur von Paul Rudolph, einem der Protagonisten brutalistischen Bauens in den USA, zueigen. Der Künstler stellt Bilder von Jim Morrison den in New Haven entstandenen Bauten von Rudolph gegenüber. In Rudolphs rauer Architektur sieht Burr ein indirektes Aufbegehren gegen Konventionen und einen subversiven Widerspruch, denn bis dahin waren hauptsächlich Regierungsgebäude und städtische Einrichtungen in diesem Stil entstanden. Morrison wiederum wurde während eines Konzerts, das er in New Haven gab, wegen „sittengefährdenden Verhaltens“ verhaftet – auch dies ein Akt der Rebellion.

An einen terroristischen Akt gemahnt Jumana Mannas Skulptur Government Quarter Study. Die drei im Ausstellungsraum installierten Stelen sind detailgetreue Nachbildungen der Säulen vor dem zentralen Gebäude des Regierungsviertels in Oslo, das 2011 Ziel eines Terroranschlags des schwedischen Rechtextremisten Anders Behring Breivik war. 1958 im brutalistischen Stil erbaut, galt das Gebäude als Symbol für den skandinavischen Wohlfahrtsstaat und damit als Feindbild von Breiviks Ideologie. Um Architekturfotografie im weitesten Sinn geht es in Werner Feiersingers Serie visionärer oberitalienischer Bauten der 1950er bis 1970er Jahre. Sie vermitteln die Ausdruckskraft einer futuristischen Architektur, die heute mehr denn je fasziniert und einmal mehr sichtbar macht, dass die Vergangenheit in ihrer Radikalität die Gegenwart mitunter übertrumpft. Die ägyptische Künstlerin Heba Amin kombiniert in ihrer Videoinstallation Speak2Tweet Aufnahmen unfertiger Gebäude aus Kairo mit Nachrichten, die Ägypter/innen während der Proteste gegen das Mubarak-Regime 2011 über Twitter verbreiteten. Die Kulisse der unfertigen Moderne verbindet sich mit den online zum Ausdruck gebrachten Wünschen und Hoffnungen zu einer Konstruktion des urbanen Raumes, der bislang imaginäres Szenario bleiben musste.

Susanne Kriemanns Installation One Time One Million wiederum besteht aus einem hölzernen Panoptikum mit 42 Fotografien, die mit einer Hasselblad Kamera aufgenommen wurden. Seite an Seite finden sich Victor Hasselblads Fotos von Zugvögeln aus den 1930er Jahren und Aufnahmen von schwedischen Sozialsiedlungen, in denen heute in erster Linie Migranten wohnen. „Migratory Birds“ ist die englische Bezeichnung für Zugvögel. Das Weiterziehen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, so scheint die Arbeit auszudrücken, ist in die Biografien von Tier und Mensch gleichermaßen eingeschrieben. Als Satellit der Ausstellung im öffentlichen Raum fungiert die Arbeit von Ron Terada: Ein Billboard, das neben der Kunsthalle Wien am Karlsplatz positioniert ist und mit dem Text Concrete Language versehen, auf die Semiotik im Alltag verweist – und Klartext einfordert. Die zeitgenössische Kunst, die seit einiger Zeit ihren Blick verstärkt auf die Stadtplanung der Spätmoderne richtet, lässt deren Euphorie wieder aufleben. Nicht aus nostalgischen Gründen, sondern um daran zu erinnern, dass Architektur mehr sein kann als lediglich umbauter Raum. Und auch wenn man auf die ästhetischen Implikationen des Betons zurückschaut, wird das Material zum Gegenstand einer Suche nach Möglichkeiten, die vielleicht erst in der Zukunft liegen. [Kunsthalle Wien. 25. Juni – 16. Oktober 2016 – Foto: © Kunsthalle Wien]

Künstler/innen: Kasper Akhøj, Heba Amin, Monica Bonvicini, Mark Boyle, Andreas Bunte, Tom Burr, Thomas Demand, Werner Feiersinger, Karsten Födinger, Cyprien Gaillard, Isa Genzken, Liam Gillick, Annette Kelm, Hubert Kiecol, Jakob Kolding, Miki Kratsman, Susanne Kriemann, David Maljković, Jumana Manna, Ingrid Martens, Isa Melsheimer, Olaf Metzel, Maximilian Pramatarov, Heidi Specker, Ron Terada, Tercerunquinto, Sofie Thorsen, Klaus Weber, Tobias Zielony. Kurator/innen: Vanessa Joan Müller, Nicolaus Schafhausen 

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